Was ist rechte Gewalt und wo fängt sie an?

Gewalt beginnt nicht erst bei physischen Angriffen. Betroffene von Rassismus, Antisemitismus und anderen abwertenden Einstellungen erleben im Alltag viele Formen von Ausgrenzungen, Anfeindungen und Angriffen. Abwertende Blicke auf der Straße, Anrempeln im Supermarkt, verbale Beleidigungen durch Passant:innen, Ungleichbehandlung oder Diskriminierung in Geschäften, auf der Arbeit oder durch staatliche Behörden sind für viele Menschen alltägliche Erfahrungen. Für nicht selbst betroffene Personen bleibt dies oft unsichtbar oder ist leicht zu übersehen. Für Betroffene selbst können diese Vorfälle aber gravierende psychische, körperliche und soziale Auswirkungen auf ihr alltägliches Leben haben und ihren Zugang zu gesellschaftlichen Ressourcen wie Anerkennung, Bildung und soziale Absicherung zum Teil stark einschränken. Nicht zuletzt gehört dazu auch die Bewegungsfreiheit im öffentlichen Raum.

Mit dem Begriff „rechte Gewalt“ bezeichnen wir physische und verbale Angriffe und Bedrohungen, die auf Grundlage der Vorstellung einer Ungleichwertigkeit von Menschen begangen werden. In dieser Vorstellung werden bestimmte Menschen/-gruppen abgewertet und ihnen wird das Recht auf körperliche und psychische Unversehrtheit abgesprochen. Der Ausdruck „rechte Gewalt“ wird in verschiedenen gesellschaftlichen Bereich genutzt wie zum Beispiel in der Kriminologie, der Sozialwissenschaft, der Strafverfolgung, der Politik und auch innerhalb der Zivilgesellschaft. Es gibt jedoch kein einheitliches Verständnis des Begriffs und er wird teilweise unterschiedlich verwendet. Je nachdem aus welcher Perspektive das Phänomen betrachtet wird, werden auch Begriffe wie Hassgewalt oder vorurteilsmotivierte Gewalt, politisch motivierte Kriminalität oder Hasskriminalität genutzt. Für unsere Perspektive ist die strafrechtliche Relevanz der Vorfälle jedoch nicht ausschlaggebend, sondern die Auswirkungen auf Betroffene und unsere Gesellschaft.

Täter:innen von rechten Angriffen sind durch abwertende Einstellungen gegenüber bestimmten gesellschaftliche Gruppen dazu motiviert, eine Gewalttat zu begehen oder Gewalt gegenüber bestimmte Personen zu rechtfertigen. Solche Einstellungen sind nicht wahllos, sondern gründen auf historisch gewachsene Abwertungsideologien. Darunter fallen beispielsweise Rassismus, Antisemitismus, Antiziganismus, Antifeminismus, Homo-, Trans- und Queerfeindlichkeit oder Sozialdarwinismus (mehr Informationen zu den einzelnen Phänomenen im Kapitel »Kleines Glossar zu Ideologien der Ungleichwertigkeit). Diese Einstellungen sind zentrale Elemente von extrem rechten Ideologien. Leider sind sie aber auch weit darüber hinaus in der Gesellschaft verbreitet. Rechte Gewalt wird auch durch Menschen verübt, die sich selbst nicht als rechts betrachten und keine direkten Berührungspunkte zu extrem rechten oder neonazistischen Gruppen oder Szenen haben.

Betroffene rechter Gewalt werden wegen ihrer vermeintlichen Zugehörigkeit zu einer (oder mehreren) der abgewerteten Gruppen angegriffen – weil sie von den Täter:innen als jüdisch, homosexuell, migrantisch, wohnungslos etc. gelesen oder als politische:r Gegner:in wahrgenommen werden. Eine von einem homofeindlichen Angriff betroffene Person identifiziert sich also beispielsweise nicht notwendigerweise selbst als homosexuell. Wenn sie:er von den Täter:innen als homosexuell gelesen wird, dann bietet allein diese Wahrnehmung  ihnen den Anlass für einen homofeindlich motivierten Angriff.

Weil rechte Gewalttaten auf abwertenden Einstellungen gegenüber gesellschaftlichen Gruppen basieren, gelten sie auch nie nur der angegriffenen Person. Betroffene werden stellvertretend für eine ganze Gruppe „ausgewählt“, der einzelne Angriff ist immer auch ein Angriff auf die Gruppe als Ganze. Man spricht deshalb bei rechten Angriffen auch von Botschaftstaten, die darauf abzielen, Verunsicherung bei einer größeren Zahl von Menschen auszulösen und diese (symbolisch) von der Gesellschaft auszuschließen. Wird eine Person beispielsweise angegriffen, weil sie Schwarz ist, dann können sich von diesem Angriff auch andere Schwarze Menschen adressiert, abgewertet und bedroht fühlen. Damit unterscheidet sich rechte Gewalt von anderen Formen der Gewalt.

Die Betroffenen von rechter Gewalt werden von Staat und Gesellschaft oft nicht ausreichend gesehen und gehört. Häufig werden Betroffene sogar selbst verdächtigt, schuldig oder mitschuldig zu sein. Das ist fatal, denn das durch den Übergriff ohnehin schon erschütterte Vertrauen in die Gesellschaft wird dadurch weiter geschwächt. Deshalb ist es umso wichtiger, bei (rechten) Angriffen und Bedrohungen einzugreifen und Betroffenen zu zeigen, dass sie nicht alleine sind.